Analyse: Die Neutralität der Republik Österreich

Im Rahmen des Projekts „Wir sind für den Frieden“ gab es ja bekanntlich einen durchaus interessanten Schriftverkehr mit dem Bundeskanzleramt und dem Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres der Republik Österreich. Die offiziellen Antworten, welche ich zu meinen Fragen bezüglich der sogenannten „Ukraine-Krise“ im Zusammenhang mit der Neutralität Österreichs erhalten habe, habe ich in den vergangenen Tagen in Ruhe und vor allem mit dem dafür notwendigen Respekt analysiert. Die Ergebnisse meiner ganz persönlichen (!) Analyse zu diesem Thema möchte ich hier nun präsentieren.

Falls Sie die Entwicklungen zu diesem Thema noch nicht verfolgt haben, finden Sie hier übrigens auch den gesamten Schriftverkehr zum Projekt „Wir sind für den Frieden„. In meiner heutigen Analyse möchte ich eigentlich gar nicht mehr darauf eingehen, dass etwa die Antwort auf meine erste schriftliche Anfrage äußerst spärlich ausgefallen ist. Man war darin wohl sehr bemüht, meine konkreten Fragen möglichst unbeantwortet zu lassen. Wahrscheinlich hatte man darauf vertraut, dass ich mich mit dieser Antwort begnügen würde? Nun, das war nicht der Fall! Erst mein späterer Hinweis auf das „Bundesgesetz über die Auskunftspflicht der Verwaltung des Bundes“ brachte dann schließlich etwas Bewegung in die Sache.

Aus diesem Grund werde ich mich bei meiner heutigen Analyse ausschließlich um die beiden letzten Schreiben aus dem Bundeskanzleramt sowie aus dem Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres der Republik Österreich kümmern. Die beiden erwähnten Schreiben können Sie hier auch direkt öffnen:

Antwort aus dem Bundeskanzleramt der Republik Österreich vom 08.09.2014

Antwort aus dem Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres vom 22.09.2014

Beginnen möchte ich mit dem Schreiben aus dem Bundeskanzleramt der Republik Österreich vom 08.09.2014. Erst im dritten Absatz, beginnt es langsam spannend zu werden:

Der Bundeskanzler und die österreichische Bundesregierung haben eine klare Haltung und der gezielte Ruf nach Deeskalation und Verhandlungen bleibt weiterhin aufrecht. Zur Frage der europäischen Sanktionen gegen Russland betonte der Herr Bundeskanzler, dass die Europäische Union – und somit auch Österreich – hier gemeinsam vorgehe. Die EU und viele ihrer Akteure haben in den letzten Wochen und Monaten nichts unversucht lassen, um eine diplomatische Lösung herbeizuführen. Trotz aller Bemühungen bis heute ohne Erfolg.

Bereits an dieser Stelle bleiben wohl einige Fragen bestehen: Wann genau erfolgte eigentlich seitens der Republik Österreich in den vergangenen Monaten ganz konkret und für die Öffentlichkeit bemerkbar ein gezielter Ruf nach Deeskalation? Wann wurden „echte“ diplomatische Verhandlungen vorgeschlagen? Welche Schritte wurden bisher denn genau unternommen, um eine diplomatische Lösung dieses Problems herbeizuführen? Ganz am Rande bemerkt: Wer sind denn eigentlich die erwähnten „Akteure der EU“ und welche konkreten Aufgabenbereiche nehmen denn diese Akteure konkret wahr? Darüber hinaus: Mit welcher Legitimation sind derartige Akteure eigentlich ausgestattet? Anmerkung: Die Worte klingen sehr schön und beruhigend – ob diese Schritte jedoch tatsächlich gesetzt werden bzw. wurden bleibt zumindest fraglich.

Weiter geht es dann im nächsten Absatz:

Konkret hat sich Bundeskanzler Werner Faymann dafür ausgesprochen den Druck auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu erhöhen und die Sanktionen zu verschärfen.

Auch hier ergibt sich eine durchaus interessante Frage: Aufgrund welcher Tatsachen und Beweise gegen den erwähnten russischen Präsidenten (Wladimir Putin) spricht sich der Bundeskanzler der Republik Österreich eigentlich für die Verschärfung von Sanktionen gegen Russland aus? Anmerkung: Im gesamten weiteren Schreiben wird darauf kein Bezug mehr genommen.

Die erste Aussage im nächsten Absatz lautet dann:

Wenn man die Freiheit verteidige, könne man nicht sagen, dies dürfe nichts kosten.
Europa befinde sich jetzt schon in einer wirtschaftlich schwierigen Situation.

Auch hier gilt es, weitere Fragen zu stellen: Welche Freiheit verteidigt die Republik Österreich bzw. die Europäische Union hier eigentlich? Man kann weiters auch ganz deutlich erkennen, dass man sich durchaus der bereits jetzt schwierigen wirtschaftlichen Situation in Europa bewusst ist.

Weiter geht es dann mit der nächsten Bekräftigung:

„Wir sind uns der Auswirkungen auf den Handel mit dieser Region bewusst, aber die Probleme sind nicht unüberwindbar. Wir werden uns in Österreich auf mögliche negative Entwicklungen bestmöglich vorbereiten“, so Faymann.

Spätestens hier stellt sich wohl wirklich die Frage nach dem Grund für diese Verhaltensweise. Man sei für friedliche und diplomatische Lösungen? Man kennt die negativen wirtschaftlichen Auswirkungen auf den heimischen Handel? Was soll das? Kann man diese Vorgehensweise noch rational erklären? Sollte nicht eine Haupt-Aufgabe der Bundesregierung sein, (auch) wirtschaftlichen Schaden von der Bevölkerung abzuwenden? Beim ebenfalls erwähnten Treffen der Sozialpartner wurden dann erwartungsgemäß auch lediglich symbolische Maßnahmen gegen die Sanktionsfolgen im Bundeskanzleramt beschlossen…

Kommen wir nun zur nächsten inhaltlichen Kernaussage:

Die Österreichische Bundesregierung bekennt sich selbstverständlich zu Österreichs immerwährender Neutralität, was aber für Österreich nie geheißen hat, inhaltlich keine Position zu beziehen. Wenn es um Freiheit, Demokratie und Menschenrechte geht, muss auch Österreich seine Stimme erheben.

An dieser Stelle könnte man folgendes anmerken: Ja, selbstverständlich kann man eine Position beziehen. Gerade wenn es um die genannten Werte wie Freiheit oder gar Menschenrechte geht, ist dies sicherlich legitim. Wo sind denn die erwähnten diplomatischen und friedlichen Bemühungen? Will man denn tatsächlich mit Sanktionen den Frieden bringen? Die konkrete Unterstützung bei der Verhängung und sogar bei der Verschärfung von Sanktionen gegen einen anderen Staat sind deshalb aus meiner Sicht in der Tat KEIN ausreichend neutrales Verhalten der Republik Österreich!

Der letzte Absatz wirkt dann schon beinahe „mystisch“:

Die Interpretation unserer Neutralität war von Anfang an ein dynamischer Prozess. Nicht einmal zwei Monate nach ihrer Beschlussfassung ist Österreich am 14. Dezember 1955 der UNO beigetreten. Die Schweiz tat dies aus ihrer Beurteilung der Neutralität erst im Jahre 2002. Auch der Beitritt zur EU konnte ohne Neutralitätsvorbehalt erfolgen, da insbesondere in allen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik das Einstimmigkeitserfordernis für alle Beschlüsse im Art. 31 Abs. 1 EU-Vertrag verankert ist.

Warum erzählt man uns hier von den unterschiedlichen Zeitpunkten des UNO-Beitritts der Schweiz und der Republik Österreich? Gerade das erwähnte Einstimmigkeitserforderniss für alle EU-Beschlüsse würde doch nahelegen, dass man als neutraler Staat unbedingt ein Veto gegen diese Sanktionen einbringen hätte müssen. Mit dieser Maßnahme hätte man nämlich den Fokus in der Tat auf eine diplomatische und vor allem friedliche Lösung dieses sogenannten „Ukraine-Konflikts“ legen können. Leider wurde dieser Schritt eben nicht gesetzt!

Kommen wir nun aber zum zweiten Schreiben aus dem Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres vom 22.09.2014. Auch in diesem Schreiben verweist man mich zuerst an den hohen Arbeitsaufwand und die Personalengpässe. Man betont jedoch auch, dass man meine Anliegen zur Kenntnis genommen hat?

Interessant wird dieses Schreiben dann im zweiten Absatz:

Aufgrund unserer rechtsstaatlichen Prinzipien konnten wir aber den Völkerrechtsbruch Russlands durch die Annexion der Krim nicht ignorieren.

Das ist doch mal eine konkrete Aussage – oder? Ob diese Aussage nun diplomatisch geschickt gewählt wurde? Man vergisst an dieser Stelle leider auch darauf, dass es sich dabei keineswegs um eine eindeutige rechtliche Beurteilung des Vorfalls handelt. Im Internet habe ich eine durchaus interessante Beurteilung von Prof. Dr. jur. Karl Albrecht Schachtschneider unter dem Titel „Der Kampf um die Krim als Problem des Staats- und Völkerrechts“ gefunden. In diesem Beitrag wird die Aussage des Bundesministeriums für Europa, Integration und Äußeres KEINESWEGS bestätigt.

Dieser Absatz bleibt jedoch weiterhin äußerst spannend:

Der Tod unschuldiger Menschen durch den Abschuss eines Flugzeugs der Malaysia Airlines und der ununterbrochene Fluss von Waffen und KämpferInnen über die russisch-ukrainische Grenze haben dem Konflikt eine weitere negative Dimension hinzugefügt.

Die nächste konkrete Aussage! Gibt es denn mittlerweile in der Tat offizielle Beweise dafür, dass die Boeing 777 der Malaysia Airlines (MH17) von oder mit Hilfe der russischen Föderation abgeschossen wurde? Aus den Medien konnte ich bisher leider KEINE derartigen Schlagzeilen entnehmen! Auch ein erwähnter „Fluss von Waffen und KämpferInnen über die russisch-ukrainische Grenze“ konnte bisher kaum wirklich bewiesen werden. Egal! Man behauptet es trotzdem? Sehr diplomatisch und neutral. Bitte um zweckdienliche Hinweise, falls mir in diesem Zusammenhang nicht sämtliche Informationen vorliegen sollten!

Es folgen in diesem Schreiben dann einige Absätze mit durchaus interessanten Informationen, die ich leider nicht nachprüfen kann. Die dort beschriebenen Maßnahmen klingen jedoch äußerst vielversprechend. Eine weitere Kernaussage finden wir dann auf der letzten Seite:

Die EU-Sanktionen gegen Russland stehen nicht im Widerspruch zum Neutralitätsgesetz (Bundesverfassungsgesetz vom 26. Oktober 1955 über die Neutralität Österreichs). Das Neutralitätsgesetz enthält die Verpflichtung, die Neutralität mit allen zu Gebote stehenden Mitteln zu verteidigen (militärische Verteidigungspflicht), keinen militärischen Bündnissen beizutreten und keine Errichtung militärischer Stützpunkte fremder Staaten zuzulassen. Keine dieser Verpflichtungen wird durch die Sanktionen gegen Russland beeinträchtigt.

Wieder wird uns also mitgeteilt, dass das politische Verhalten der Bundesregierung im Zusammenhang mit den EU-Sanktionen gegen Russland nicht der Neutralität der Republik Österreich widerspricht. Trotzdem möchte ich noch einmal festhalten, dass ich in der Tat KEINERLEI neutrales Verhalten daraus ablesen kann. Zu klären wäre in diesem Zusammenhang übrigens auch die Tatsache, dass Österreich seit 06. Mai 2014 an der NATO-Cyber-Abwehr teilnimmt. Einen entsprechenden Artikel finden sie hier: Österreich als erstes Nicht-Mitgliedsland bei NATO-Cyber-Abwehr dabei

Selbstverständlich gilt es zu klären, ob es sich bei der NATO-Cyber-Abwehr-Gruppe um ein „militärisches Bündnis“ handelt. Definitiv ist jedoch die NATO selbst ein Militär-Bündnis der westlichen Welt.

Spätestens seit den Enthüllungen von Herrn Edward Snowden ist auch bekannt, dass in Österreich sogenannte „Abhörstationen“ vom US-Geheimdienst NSA errichtet wurden. Hier muss wohl noch geklärt werden, ob es sich dabei um militärische Stützpunkte handelt?

Im nächsten Absatz finden wir dann:

Das österreichische Verfassungsrecht sieht überdies ausdrücklich EU-Sanktionsmaßnahmen im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik vor (vgl. Art. 23j Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz). Die Teilnahme Österreichs an den EU-Sanktionen ist daher verfassungskonform.

Nun, stellt die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU eventuell gar ein Militärbündnis dar? Wie möchte man denn eine sogenannte „Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik“ gewährleisten ohne militärische Maßnahmen? Sollte laut Neutralitätsgesetz die Republik Österreich eben KEINEM Militärbündnis beitreten? Sind wir deshalb spätestens seit den EU-Verträgen von Lisabon nicht mehr neutral? Leider muß ich hier feststellen, dass ich eine klare rechtliche Beurteilung zu diesem Thema NICHT abgeben kann. Wir müßen hier wohl weiterhin auf die Aussagen der Behörden vertrauen.

Der letzte Absatz dieses Schreibens lautet dann:

Aus völkerrechtlicher Sicht ist anzumerken, dass die dauernde Neutralität nur dann aktualisiert wird, wenn zwischen zwei Staaten ein Krieg im völkerrechtlichen Sinn besteht (sog. „Neutralitätsfall“). Da derzeit zwischen Russland und der Ukraine kein formeller Krieg und somit kein Neutralitätsfall vorliegt (keine formelle Kriegserklärung; kein Abbruch aller dipl. Beziehungen), ist das völkerrechtliche Neutralitätsrecht nicht anzuwenden.

An dieser Stelle kann man nur mehr sagen: „Vielen Dank für die Information.“

Meine ganz persönliche Meinung lautet wie folgt: Die Neutralität Österreichs ist ein geschichtliches Relikt. Seit mehreren Jahrzehnten wird die Neutralität von den „Politik-Darstellern“ immer mehr ausgehöhlt. Sie ist mittlerweile ein wackeliges Kartenhaus, welches jeden Moment zusammenbrechen kann. Naja, in Wirklichkeit ist dieser Zusammenbruch wohl schon längst passiert. Zum wiederhollten Male haben wir allerdings eine Bundesregierung, die keinen Anstand, keine Ehrlichkeit und keinen Mut besitzt, um der Bevölkerung endlich die Wahrheit darüber zu sagen! Das Neutralitätsgesetz sollte endlich zurückgenommen werden. Das wäre nur ehrlich!

Die „Politik-Darsteller“ in Österreich betonen zwar, dass sie durchwegs für eine friedliche Lösung sind. Konkret gießen sie jedoch eher das sprichwörtliche „Öl ins Feuer“. Dabei handelt es sich halt leider um einen sogenannten Brandbeschleuniger! Ich würde mir deshalb durchaus mehr Einsatz für den Frieden, mehr echte Diplomatie sowie mehr politische Verantwortung wünschen. Ich wollte sehr konkrete Fragen stellen, mit der Absicht darauf auch sehr konkrete politische bzw. rechtliche Antworten zu erhalten. Dies ist mir leider nur zum Teil „geglückt“. Trotzdem gilt weiterhin: WIR sind FÜR den FRIEDEN!


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